von Wolfgang Pfeiffer
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11. August 2018
Wie oft stehen wir vor unseren Kindern und rätseln, was nun schon wieder los ist. Kennen Sie das, eine kleine Aufforderung an ihr Kind führt zu einem Drama und ihrem Kind und Ihnen geht es hinterher einfach nur schlecht? Seit über 35 Jahren bin ich dem Phänomen Kind praktisch, theoretisch, phänomenologisch, bindungsorientiert, systemisch und vielen weiteren Sichtweisen auf der Spur. Vieles habe ich über eigene Fehler und Korrekturen entdecken dürfen. Ich lebte mit meiner Frau, vier eigenen Kindern und vielen Pfegekindern 25 Jahre analog, dass heißt rund um die Uhr über die ganze Woche, in einem Kinderdorf zusammen. Arbeitete tagsüber als Pädagoge und Heilpädagoge mit Jugendlichen, die große Schwierigkeiten hatten, ins Berufsleben starten zu können. Gemeinsam arbeiteten wir am Aufbau eines Selbstwertes, am Verarbeiten der oft katastophalen Schulkarriere und an der Lust, einen Beruf erlenen zu wollen. Über handwerkliches und künstlerisches Tun, epochalen Unterricht und viel Zeit, die wir miteinander verbrachten. Nun sind die eigenen Kinder groß und stehen im eigenen Leben, ich bin Opa zweier wunderbarer Enkel und Bereichsleitung in einer Einrichtung in Konstanz. In meinem Blog möchte ich Sie mitnehmen auf eine Reise, nicht in ferne Länder oder auf hohe Berge oder in die Tiefsee, sondern auf eine Reise in die Lebenswelt des Kindes. Gerne möchte ich mit Ihnen meine Erfahrungen teilen im Verstehen der Welt des Kindes. Eine Reise die nicht endet solange wir leben, aber eine wunderbare Reise mit vielen Erfahrungen, Sichtweisen und Ideen. Da die Lebenswelt des Kindes großartig und komplex ist, unterteile ich in verschiedenen Beiträgen das Gesamtthema. So können Sie sich nach ihrem eigenen Interesse nach und nach die Mosaiksteinchen des Gesamtbildes herausnehmen. Jedes Steinchen vervollständigt die Lebenswelt des Kindes, wo ich auch anfange. Die Reise beginnt mit der Frage: Mein Kind fordert mich heraus - Was ist eigentlich "Herausforderndes Verhalten" Sie gehen mit ihrem 2 jährigen Kind in den Discounter einkaufen, setzen ihr Kind in den Einkaufswagen und legen los. Innerlich mit dem Einkaufzettel beschäftigt, merken sie nicht, dass ihr Kind auf eine Tüte im Einkaufswagen zeigt. Es schreit los. Sie reagieren, sehen was ihr Kind will, geben ihm die Tüte, ihr Kind hört auf zu schreien und beschäftigt sich mit der Tüte. Ihr Kind reguliert sich schnell selbst - kein Herausforderndes Verhalten - ihr Kind ist schlau und weiß, schreien ist besser als reden, wenn Mama/Papa einkauft. Gleiche Situation mit dem Unterschied, dass ihr Kind die Tüte auf den Boden wirft und weiterschreit. Es reagiert auch nicht mehr auf andere Angebote, schreit und schreit. Sie merken schon, wie sie selber in eine hohe Anspannung geraten und am liebsten mitschreien würden. Ihr Kind kann sich nicht mehr regulieren - sie können die Situation nicht kontrollieren - Herausforderndes Verhalten! Sie fordern ihr 10jähriges Kind auf, sein Zimmer aufzuräumen. Ihr Kind ist natürlich gerade mit was anderem wichtigen beschäftigt, wie immer, wenn diese Aufforderung kommt. Es reagiert pampig und haut einen dummen Spruch raus, der sie verletzen könnte. Sie reagieren mit ihrem speziellen Blick, den ihr Kind sofort versteht. Ich lass mich von Dir nicht provozieren aber du weißt genau, was die Konsequenz ist, wenn du nicht bald anfängst - Blick. Sie gehen aus dem Zimmer und hören nach einer Weile, dass ihr Kind aufräumt. Auch wenn der Spruch ihres Kindes verletzend war - kein herausforderndes Verhalten. Vielleicht hat es wirklich gerade intensiv gespielt. Stellen sie sich vor, sie sind gerade gemütlich mit ihrem/er PartnerIn zusammen und schmusen miteinander. Auf einmal sagt ihr/e PartnerIn, "Du mach mal gerade alleine weiter, ich muss noch schnell meine E-Mails checken." ...... Ich möchte nicht hören, was ihnen da alles einfällt. Aber genau so kann, wohlgemerkt kann es ihrem Kind gerade gehen, wenn es mit seinem Spiel aufhören soll. Ähnliche Situation, aber auf ihre Aufforderung, das Zimmer aufzuräumen reagiert ihr Kind wütend, schimpfend, schreiend, schaukelt sich weiter hoch, geht hin und wirft Sachen im Zimmer rum. ..... Herausforderndes Verhalten Da kann schon ein hoher Leidensdruck entstehen, bei Ihnen und bei ihrem Kind und der Wunsch nach einer schnellen und gründlichen Lösung, nach einem hochwirksamen Patentrezept ist übergroß. Hinzu kommt noch der "Machtkampf" zwischen Ihnen und ihrem Kind, den sie leider nur verlieren können. Sie verlieren bei einem "Machtkampf" das wichtigste, was ihnen ihr Kind geben kann und meistens merken sie dies erst viel später, z. B. in der Pubertät, das Vertrauen ihres Kindes. Jeder "Kampf" im Sport z.B in unterschiedlichen Gewichtsklassen wird als unfair angesehen, und so haben auch die eingeschränkten Sportler ihre eigenen Wettkämpfe. (z.B. Paralympics) Genauso ist ein Machtkampf zwischen ihnen und ihrem Kind. Völlig unterschiedliche "Gewichtsklasse" und geanu dies führt bei uns Erwachsenen zu einem Gefühl von Machtlosigkeit, Ratlosigkeit und Ohnmacht. Also ihr Wunsch nach der schnellen Lösung gibt es leider nicht, sondern was es gibt, und ich kann ihnen gleich verraten, es wird ein anstrengender Weg, so wie eine Gebirgswanderung mit vielen raufs und runters ist folgendes: • Entwickeln eines hilfreichen Umgangs mit herausforderndem Verhalten • Erprobte Handlungsantworten • Entwickeln von individuellen Annahmen für das Verhalten, sinnvollen Maßnahmen und Umlenkungsideen • Gezielte Beruhigungs- und Auflösungsstrategien • Übung in der Wahrnehmung von Anspannung (auf einer Skala von 0 bis 10) - Ärgerthermometer • Urteilsfreie Wahrnehmung – zunächst keine Interpretationen • Eigene Effekte und Gefühle reflektieren und bearbeiten und noch einiges mehr. Herausforderndes Verhalten hängt oft mit Wahrnehmungsbeeinträchtigungen zusammen: - Entwicklungsbedingt (Trotzphase, Pubertät u. ähnliches) - Somatisch (Krankheit, Schmerzen etc.) - Psychisch (Verlust, unverdaute Konflikte, Missbrauch etc.) - kindlichen Ängsten und Frust / Traurigkeit - traumatischen Erlebnissen - Überforderungen - Übermüdung - Sinnesstörungen (eingeschränktes Hören, Sehen, Sprache, Tasten etc.) - Bindungsunsicherheiten (Umfeld-Faktoren wie Geschwisterkonflikte, Beziehungsstreit, Verlust eines Elternteils, Scheidung etc. - ADHS, Autismus-Spektrum-Störung, etc. - Verliebt sein - Alkohol / Drogen - Medikamente - Deprivation / Hospitalismus - Depression / Angststörungen Sollte ich ihr Interesse geweckt haben, dann können sie ja in den weiteren Beiträgen herumstöbern.